Der neue Wehrdienst in Deutschland wird offiziell als freiwillig deklariert, doch er enthält zahlreiche verpflichtende Elemente, die eine schrittweise Annäherung an eine Wehrpflicht vermuten lassen. Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt auf eine Freiwilligkeit mit attraktiven Anreizen wie höherem Sold und Weiterbildungsmöglichkeiten, doch die Realität zeigt, dass viele Maßnahmen verpflichtend sind und die Hürden für eine Rückkehr zur Wehrpflicht sinken.
Neuer Wehrdienst: Freiwilligkeit mit Pflichten

Ab 2026 erhalten alle 18-jährigen Männer einen verpflichtenden digitalen Fragebogen, in dem sie Angaben zur Dienstbereitschaft und persönlichen Daten machen müssen. Frauen werden ebenfalls angeschrieben, können aber freiwillig antworten. Auf Basis der Rückmeldungen lädt die Bundeswehr geeignete Bewerber zur Musterung ein, der sie dann aber nicht zwingend folgen müssen. Dieses Verfahren bedeutet schon jetzt eine erhebliche Verpflichtung, die über reine Freiwilligkeit hinausgeht.
Ab Juli 2027 wird die verpflichtende Musterung für alle Männer des Geburtsjahrgangs 2008 eingeführt – ein Schritt, der stark an die frühere Wehrpflicht erinnert. Die Musterung soll vor allem ein „Lagebild“ über die Wehrfähigkeit der jungen Männer liefern, um die Personalplanung zu verbessern. Dieser Zwang zur Musterung unterstreicht die Tatsache, dass die Freiwilligkeit des neuen Wehrdienstes in der Praxis eingeschränkt ist.
Der nächste Abschnitt zeigt, wie Verteidigungsminister Pistorius mit diesen Maßnahmen eine deutliche Aufstockung der Bundeswehr anstrebt und welche Konsequenzen drohen, falls die angestrebten Zahlen nicht erreicht werden.
Zielzahlen und mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht

Pistorius plant, dass bis Ende dieses Jahrzehnts etwa 110.000 junge Menschen über den neuen Wehrdienst rekrutiert werden, um eine Reserve von 200.000 einsatzbereiten Reservisten aufzubauen. Dabei setzt er auf die Freiwilligkeit, doch das Gesetz sieht eine Hintertür vor: Sollte die Personalstärke nicht ausreichen, könnte die Wehrpflicht in einer „Teilwiedereinführung“ wieder in Kraft treten.
Das neue Gesetz regelt aber nicht automatisch, wann oder wie genau dies geschehen würde, sondern sieht eine politische Neubewertung der Sicherheitslage vor. Kritiker, insbesondere aus der Union, bemängeln, dass klare Regelungen fehlen und der Verteidigungsfall zu spät ausgerufen werden könnte, um rechtzeitig Personal zu mobilisieren.
Im nächsten Teil wird erläutert, warum die Wehrpflicht bisher nicht beendet, sondern nur ausgesetzt wurde, und welche rechtlichen und politischen Hürden bei einer Wiedereinführung bestehen.
Wehrpflicht: Aussetzung statt Abschaffung

Die Wehrpflicht wurde 2011 offiziell nicht abgeschafft, sondern lediglich ausgesetzt. Das bedeutet, dass sie im Verteidigungsfall oder bei einer veränderten Sicherheitslage durch den Bundestag schnell wieder aktiviert werden könnte. Theoretisch könnten dann Männer zwischen 18 und 60 Jahren eingezogen werden, sofern sie den Kriegsdienst nicht verweigern.
Praktisch wäre die flächendeckende Einberufung aller Männer eines Jahrgangs jedoch schwer durchsetzbar, besonders wenn sich zu wenige freiwillig melden. Die SPD, vertreten durch Pistorius, zeigt sich skeptisch gegenüber einer solchen Maßnahme, was die politische Umsetzung erschwert.
Im folgenden Abschnitt werfen wir einen Blick auf die finanzielle und qualitative Aufwertung des neuen Wehrdienstes, die junge Menschen motivieren soll.
Anreize und Aufwertung des Wehrdienstes

Der neue Wehrdienst sieht eine deutlich verbesserte Bezahlung vor: Freiwillige können mit bis zu 2.300 Euro netto pro Monat rechnen, zusätzlich gibt es kostenlose Transportmöglichkeiten und attraktive Weiterbildungsangebote. Soldaten erhalten den Status „Soldat auf Zeit“ mit besseren versorgungsrechtlichen Bedingungen.
Zudem wird die Ausbildung seit 2025 auf Sicherungs- und Heimatschutzaufgaben fokussiert, die als sinnstiftend und modern beworben werden. Diese Maßnahmen sollen den Dienst attraktiver machen und langfristige Bindung an die Bundeswehr fördern.
Im nächsten Abschnitt wird die politische Debatte um die Freiwilligkeit versus Wehrpflicht beleuchtet, die derzeit heftig geführt wird.
Politische Kontroversen um Freiwilligkeit und Pflicht

Die CDU und andere konservative Kräfte fordern eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht, die auch Frauen einschließen soll, oder sogar eine allgemeine Dienstpflicht mit Wahlmöglichkeiten zwischen Bundeswehr und zivilem Dienst. SPD und Grüne hingegen betonen die Vorteile der Freiwilligkeit und setzen auf eine moderne, attraktive Bundeswehr.
Kritiker bemängeln, dass der neue Wehrdienst mit seinen verpflichtenden Elementen de facto eine neue Form der Wehrpflicht darstellt, auch wenn sie offiziell „freiwillig“ genannt wird. Die Unsicherheit darüber, was passiert, wenn die Zielzahlen nicht erreicht werden, sorgt für weitere Spannungen.
Der abschließende Teil zeigt, wie diese Reform die Bundeswehr langfristig verändern könnte und welche Herausforderungen noch bevorstehen.
Langfristige Perspektiven und Herausforderungen

Der neue Wehrdienst ist ein bedeutender Schritt, um die Personalstärke der Bundeswehr deutlich zu erhöhen und die Reserven zu stärken. Doch die Mischung aus Freiwilligkeit und Pflicht baut schrittweise eine Struktur auf, die in Richtung Wehrpflicht tendiert, ohne sie offen auszurufen.
Ob dieses Modell funktioniert, hängt maßgeblich davon ab, ob genügend junge Menschen freiwillig mitmachen. Gelingt das nicht, wird die politische Debatte über eine verpflichtende Wehrpflicht neu entflammen. Bis dahin bleibt der Dienst ein Hybrid aus Freiwilligkeit und Pflicht – ein Experiment in einer Zeit großer sicherheitspolitischer Herausforderungen.